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Optimismus mit Geschichte
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Optimismus
Optimismus mit Geschichte

Matthias Müller
Religionspädagoge (M.A.), TV-Redakteur, Fotojournalist und Autor
Marne, D

Viel Zeit hatte ich nicht. Bin ich aber nun schon in Wien, wollte ich auch das Victor-Frankl-Museum besuchen. Wer war der Mann, der den Holocaust überlebt und etwas mitgebracht hatte, was vielen Menschen später eine Lebenshilfe war?

Bewegende Einblicke
Wiener Nebenstraße. Schwere Holztür. Rot-weiße Fähnchen – hier muss es sein. Ein paar Treppen, ein enger Flur mit freundlicher Kassiererin – und schon lief mir die Zeit davon: Es gab in Frankls ehemaliger Wohnung so viel Interessantes zu lesen und zu sehen! Der Psychiater hielt 1921 einen ersten Vortrag «Über den Sinn des Lebens» und organisierte 1931 mit seinen Jugendberatungsstellen eine Sonderaktion. Dadurch gab es in Wien während der Zeit der Zeugnis-
ausgabe erstmals seit Jahren keinen Schüler-Selbstmord. Wegen seiner jüdischen Herkunft durfte er nach dem «Anschluss» Österreichs an das «Deutsche Reich» keine «arischen» Menschen mehr behandeln (Übrigens, einer der großen Fehler aller Diktaturen: Sie berauben sich ihrer besten Köpfe selbst.). Um bei seinen Eltern zu bleiben, ließ er 1939 sein Ausreisevisum in die USA verfallen. Drei Jahre später wurde fast die gesamte Familie in ein Konzentrationslager verschleppt. Nur er überlebte und verfasste bald nach Kriegsende das Buch «… trotzdem Ja zum Leben sagen». Wer nach so viel schrecklichem Leid dennoch «Ja» zum Leben sagt, kennt Gründe. Frankl beobachtete während seiner Gefangenschaft, dass Menschen, die sich nicht aufgaben, eine größere Überlebenschance hatten als andere, die mit einer pessimistischen Grundhaltung litten. Bis heute gibt es keine einhellige Meinung darüber, wie der Mensch zu einer optimistischen Haltung kommt. Ist es Vererbung, Erziehung, Training? Vielleicht ein wenig von allem? Wissenschaftler sagen, dass Optimismus erlernbar sei.

Verspottetes Genie
Der Begriff «Optimist» geht wohl auf eine spöttische Bezeichnung von Jesuitenpatern für den Mathematiker und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) zurück. Sie machten sich über den letzten europäischen Universalgelehrten lustig, weil er als Nichttheologe das Spannungsfeld zwischen «gutem Gott» und «schlechter Welt» in seinem Werk «Theodizee» aufzulösen suchte. Leibniz hat die Differential- und Integralrechnung entdeckt und durch die Entwicklung des dualen Zahlensystems die Grundlage für die Digitalisierung gelegt. Er war der Meinung, dass Gott «die beste aller möglichen Welten» mit ihrem Entwicklungspotenzial geschaffen habe. «Optimismus» geht auf den lateinischen Begriff «optimum» (das Beste) zurück, hat sich längst vom Ansatz des Gelehrten Leibniz gelöst und zu einer Beschreibung der Lebenssicht verselbstständigt. Nebennotiz der Geschichte: Sowohl Leibniz als auch Frankl genossen zu ihren Lebzeiten in Wien wenig Wertschätzung. Leibniz blitzte bei Kaiser Leopold I. mit seiner genialen Chiffriermaschine ab, und Frankl war noch am ehesten unter den österreichischen Akademikern bekannt. Erst später erhielt er auch in seinem Heimatland öffentliche Anerkennung.

Entscheidende Grundhaltung
Eine Frau kaufte im Stoffladen ein. Ihr Mann kam von einigen Besorgungen zurück. Als er die Menge Stoff sah, die sie schon hatte abschneiden lassen, fragte er: «Willst du das alles kaufen?» «Ja,» antwortete sie und wies dabei auf die vielen Stoffballen im Regal, «aber schau doch, was ich alles nicht nehme!» – Es kommt wirklich auf die Sichtweise an. Die Beobachtungen Frankls bestätigen sich vielfach. Im Allgemeinen leben Menschen lieber mit Optimisten zusammen als mit Pessimisten, vorausgesetzt, die Optimisten haben die Bodenhaftung nicht verloren. Bei Pessimisten werfen kleine Dinge große Schatten.

 

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