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Bausteine erfolgreicher Beziehungen
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Beziehungen
Bausteine erfolgreicher Beziehungen

Annika Looser Grönroos
Psychosoziale Beraterin, Theologin
Hunzenschwil, CH

Erinnerungen an einen Flughafen
Seit ich mich erinnern kann, üben Flughäfen eine magische Anziehungskraft auf mich aus. Nicht etwa, weil mich das Fernweh packen würde, sobald ich meinen Fuß in einen Flughafen setze, sondern weil der Aufenthalt dort sehr emotionale Erinnerungen wach werden lässt. Während meiner Kindheit war ich oft am Flughafen und habe dort sowohl die schönsten als auch die traurigsten Momente erlebt. Mit meiner Familie lebte ich in Finnland, doch ein großer Teil unserer Verwandten wohnte in der Schweiz. Trotz der räumlichen Entfernung hatte ich eine sehr enge Beziehung zu ihnen. Vor allem meine Großeltern waren wichtige Bezugspersonen für mich. Wenn wir meine Großeltern am Flughafen abholten, wusste ich, dass jetzt ganz besondere Wochen vor uns lagen. Wenn wir zu Hause ankamen, konnten wir Kinder es kaum erwarten, zusammen mit unseren Großeltern ihre Koffer auszupacken, denn sie hatten immer wunderschöne Geschenke für uns dabei. Inzwischen weiß ich jedoch, dass das wertvollste Geschenk, das sie uns machten, ihre Zeit, ihre Aufmerksamkeit und ihre Anteilnahme waren. Als dann wiederum am Flughafen der Zeitpunkt des Abschieds kam, wurde ich jedes Mal daran erinnert, wie schmerzhaft es ist, wenn dein Herz in zwei Ländern zu Hause ist.

«Freundschaft, das ist eine Seele in zwei Körpern.» (Aristoteles)

Auf Beziehung programmiert
Warum habe ich mich als Kind auf diese emotionale Achterbahn eingelassen? Wäre es nicht einfacher gewesen, wenn mein Herz nicht so sehr an meinen Großeltern gehangen hätte? Ein Kind ist noch nicht vernünftig genug, um solche Überlegungen anzustellen, könnte man einwenden – doch in der Tat sind wir als Menschen auf Beziehung ausgerichtet.

Bereits das ungeborene Kind kennt den Herzschlag seiner Mutter und erkennt die Stimmen der Familienmitglieder. Aus diesem Grund beruhigen sich Säuglinge, wenn sie diese vertrauten «Klänge» hören. Die Bindungsforschung des britischen Kinderpsychiaters John Bowlby lehrt uns, dass der Mensch ein angeborenes Bedürfnis hat, enge und emotionale Beziehungen zu anderen Menschen aufzubauen. Wir wollen Nähe und intensive Gefühle erleben und uns mit den Menschen um uns herum verbunden fühlen. Aber es ist mehr als eine emotionale Sehnsucht. Laut Bowlby sind wir biologisch so aufgebaut.

Unsere Beziehungen verändern unser Gehirn. Wie ist das zu verstehen? Erfahrungen, die wir machen und die mit großen Emotionen verbunden sind, brennen sich ins Gedächtnis ein. Manchmal ist es uns nicht mehr möglich, uns an das genaue Erlebnis zu erinnern. Das Gefühl ist jedoch fix abgespeichert. Ich habe mit meinen Großeltern viel Zeit verbracht, obwohl wir in unterschiedlichen Ländern lebten. Und konkrete Situationen und Erlebnisse habe ich noch einige vor Augen. Dennoch gibt es viele, viele Tage, die wir miteinander verbracht haben und an die ich keine Erinnerung mehr habe. Die Gefühle sind aber trotzdem geblieben und in meinem Gehirn fest verankert. Wenn ich an meine Kindheit und die Erfahrungen mit den Großeltern denke, kommt Folgendes an die Oberfläche: ein Gefühl der absoluten Sicherheit, der Annahme und Freiheit. Diese Emotionen kann ich benennen, auch wenn die tatsächlichen Erlebnisse bereits verblasst sind.

Das ABC einer gesunden Beziehung
Wie würde ich Freundschaft definieren? Gute Freunde hören zu, zeigen Interesse und begegnen mir freundlich und respektvoll. Sie sind mir in vielen Bereichen ähnlich, nicht nur was gemeinsame Interessen angeht. Auch bei Charakterzügen und Wertvorstellungen gibt es eine große Schnittmenge. Dies sind meine persönlichen top 10 Freundschaftsbausteine:

  • Vertrauen
  • Verlässlichkeit
  • Sympathie
  • Ehrlichkeit
  • Verständnis
  • Loyalität
  • Zeit
  • Selbstlosigkeit
  • Bereitschaft, mich zu öffnen und verletzbar zu machen
  • Kompromisse eingehen

Selbstverständlich ist diese «Liste» nicht vollständig, sie ist lediglich eine Momentaufnahme. Ich möchte Sie an dieser Stelle ermutigen, Ihre persönliche Liste zu formulieren und in der Box nebenan festzuhalten. Was ist Ihnen wichtig? Auf welche Freundschaftsbausteine möchten Sie niemals verzichten?

«Freundschaft ist wie ein Diamant, der in der Erde vergraben ist, ein Schatz von großem Wert, der erst zu Tage gefördert, geschliffen und poliert werden muss, ehe seine Anmut sichtbar wird.» 
Sally J. Knower

Der Preis der Freundschaft
Eine Freundschaft ist nicht selbstverständlich, sondern immer ein Geschenk. Und eine Freundschaft kostet mich eine Menge. Ein Blick in den Spiegel hilft mir, meine Gedanken zu ordnen und mir selber gegenüber ehrlich zu sein. Will ich eine solche Freundschaft? Bin ich bereit, die Investitionen zu tätigen, die dafür erforderlich sind?

Ein Professor erzählte folgende Geschichte aus seinem Leben. «Ich bin eines von dreizehn Kindern. Eines Tages spielte ich draußen, doch weil ich Durst hatte, ging ich ins Haus. Mein Vater war soeben von der Arbeit gekommen und saß mit unserem Nachbarn am Küchentisch. Ich hörte sie reden und den Nachbarn meinen Vater fragen. Du hast doch dreizehn Kinder. Gibt es da nicht eines, das dein Liebling ist, das du mehr liebst als alle anderen? Klar, antwortete mein Vater. Mary, unsere Zwölfjährige. Sie hat eine Zahnspange erhalten und fühlt sich sehr unwohl damit. Aber du hast ja nach meinem Liebling gefragt. Das ist Peter, der jetzt dreiundzwanzig ist. Seine Verlobte hat ihn verlassen, und er ist untröstlich. Aber wen ich wirklich am meisten liebe, das ist der kleine Michael. Mit seiner Koordination hapert es irgendwie, und er kommt mit keiner Sportart zurecht. Und mein Vater fuhr fort und zählte jedes seiner dreizehn Kinder auf. (Diese Geschichte ist wahr und kann in ihrer vollen Länge nachgelesen werden – in Ein Liebesbrief vom Himmel und andere Geschichten, die das Herz berühren, Alice Gray (Hrsg.), GerthMedien, Asslar, 2010)

Echte Liebe ist bedingungslos
Ich nehme die Einzigartigkeit der anderen Person wahr und bin bereit, sie so anzunehmen, wie sie ist. Ich kenne ihre Schwächen, die mich manchmal verletzen, doch die Nähe zwischen uns hilft mir, weiterhin in die Beziehung zu investieren. So wie ich gerne behandelt werden möchte, so behandle ich meine Freunde.
Nicht jede Person braucht dasselbe Maß an emotionaler Nähe. Wie viel Wert dem Kontakt mit anderen Menschen beigemessen wird, ist in unserer Persönlichkeitsstruktur verankert. Emotional distanzierte Menschen haben größeres Interesse an Aufgaben als an Beziehungen. Es fällt ihnen schwer, über Gefühle zu reden, und sie ziehen es vor, logisch und seriös vorzugehen. Warmherzige Menschen hingegen lieben es, Beziehungen zu knüpfen. Sie investieren viel Kraft in die Beziehungspflege. Sie interessieren sich für die Gefühle anderer Menschen und suchen emotionale Verbundenheit. Wenn es um Persönlichkeitsmerkmale geht, gibt es kein Richtig oder Falsch, denn beide Seiten der Medaille haben sowohl Sonnen- als auch Schattenseiten.

Versöhnung oder Bruch?
In jeder Freundschaft gibt es Verletzungen. Oftmals sehen wir voller Bewunderung auf innige und tiefe Beziehungen um uns herum und gehen davon aus, dass diese perfekt sind. Doch die Tatsache bleibt, dass es in jeder Beziehung Kämpfe gibt. Nicht die Abwesenheit von seelischen Verletzungen ist die Voraussetzung für den Fortbestand oder die Qualität einer Beziehung, sondern die Beziehungsfähigkeit trotz betrüblicher Erlebnisse.

Freundschaft weiter pflegen oder aufgeben?
Wenn ich mir diese Frage ernsthaft stelle, ist es wichtig, dass ich mir Zeit lasse. Ich brauche etwas Abstand, um alles in einem objektiveren Licht zu sehen. Wichtig ist auch, dass nicht die Verletzung im Mittelpunkt steht, sondern ich die Beziehung in einem größeren Rahmen betrachte. Was haben wir alles schon gemeinsam erlebt? Wofür bin ich dankbar? Wie hat mich diese Freundschaft bereichert? Dies sind Fragen, die hilfreich sein können, wenn es darum geht, das ganze Bild zu sehen. Meine Mama hat oft gesagt: «Zum Streiten braucht es immer zwei!» Als Kind konnte ich diesen Satz nicht mehr hören, doch heute weiß ich, dass sie Recht hatte. Wo habe ich Schuld auf mich geladen? Messe ich mit unterschiedlichem Maß und verurteile ich den anderen, während ich für mein eigenes Versagen Erklärungen finde? Das Bewusstsein um meine Unzulänglichkeit hilft mir, dem anderen gegenüber gnädiger zu sein.
Ist mein Gegenüber für die Versöhnung bereit? Ist ein klärendes Gespräch ohne Schuldzuweisung möglich? Dies sind weitere Fragen im Entscheidungsprozess. Neues Vertrauen aufbauen braucht Zeit, denn was in die Brüche gegangen ist, muss zuerst wieder heilen. Durch die Verletzung sind mir die Grenzen der Beziehung auf schmerzliche Art und Weise vor Augen geführt worden. Doch wenn wir es schaffen, die Krise gemeinsam zu überwinden, gewinnt die Beziehung an Tiefe und Reife. Bei Freundschaften führt kein Weg an Vergebung und Versöhnung vorbei.

Der Wunsch nach Beziehung auf Augenhöhe
Als Mensch brauche ich Beziehung und ich will Beziehung. Was ist aber, wenn es nicht klappen will? Wenn mich die Beziehungen, die ich führe, hinunterziehen, mich aussaugen oder einengen? Oder wenn sie schlichtweg nicht vorhanden sind? Vielleicht können folgende Fragen einen Denkprozess anstoßen:

  • Erinnern Sie sich an gute Beziehungen? Was war in diesen Freundschaften anders? Welche Prinzipien gesunder Beziehungen haben Sie damals erlebt?
  • Wann und in welchen Freundschaften haben Sie sich richtig frei gefühlt und konnten in der Beziehung aufblühen?
  • Welche Zeit war die schönste Ihres Lebens und wer war Teil davon?

Möglicherweise verspüren Sie den Wunsch, sich mit jemandem über Ihre Gedanken auszutauschen. Folgen Sie diesem Impuls und wählen Sie jemanden aus, dem Sie vertrauen können. Manchmal kann es auch hilfreich sein, sich an eine Person zu wenden, die nicht zum Bekanntenkreis zählt, sondern Ihnen als völlig neutrale Fachperson ein professionelles Gegenüber sein kann.

Gelebte Beziehung
Jeder Mensch möchte geliebt werden und angenommen sein. Das Wertvollste bezüglich der Regeln der Freundschaft haben mir meine Großeltern vorgelebt. Als Kind durfte ich erleben, wie sie in mich und in die Beziehung zu mir investiert haben. Sie haben mir ihre Zeit geschenkt!

 

 

 

 

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