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Wenn einem die Angst den Atem raubt
Foto: iStock.com/AntonioGuillem

Luft
Wenn einem die Angst den Atem raubt

Günther Maurer
Gesundheitsberater und Seelsorger

Ich erinnere mich bis heute an ein Erlebnis, bei dem der Schmerz die Angst unmittelbar im Gefolge hatte. Als Kind kletterte ich mit meinen Freunden gerne auf Bäume. Wir bauten im Wald mit viel Fantasie «Baum-Burgen» und hatten dabei wirklich viel Spaß und jede Menge Abenteuergefühle. «Übung macht den Meister», dachte ich und wurde nach und nach immer übermütiger. Plötzlich und ohne Vorwarnung knackte es im Baum, und der Ast, auf dem ich saß, brach ab. Für mich gab es kein Halten mehr. Der ungebremste Aufprall auf meinen Rücken war äußerst schmerzhaft. Aber noch beängstigender empfand ich es, dass ich plötzlich nicht mehr atmen konnte. Ich rang nach Luft – umsonst. Eine gefühlte Ewigkeit war meine Lungenfunktion blockiert. Ich schnappte wie ein Fisch auf dem Trockenen vergeblich nach Luft, ja ich fürchtete, tatsächlich sterben zu müssen. Die Angst kroch in jede Zelle meines Körpers. Erst als sich die Blockade (Zwerchfell-Spasmus) wieder löste, begann ich mich zu entspannen.
Wer so eine Verkrampfung des Zwerchfells, welches unser Haupt-Atemmuskel ist, schon einmal erlebt hat, weiß, wie sich dieses angstbegleitete Ringen nach Luft anfühlt. Bis heute ist mir dieser Unfall aus Kindertagen in Erinnerung, aber auch die schreckliche Angst, die ich aufgrund der Atemnot empfand.

Geplagt von Ängsten?
Es gibt jedoch genügend Lebensumstände und psychische Ursachen, die uns den Atem stocken lassen, die Kehle zuschnüren und uns zu ersticken drohen.
Die Angst ist für die Seele ein ebenso deutliches Signal wie Schmerzen im Körper, vergleichbar einem deutlichen «Ausrufezeichen», dass etwas nicht in der Balance, nicht in Ordnung und damit in Unfrieden ist. Bedrohliche Situationen oder unkontrollierbar beurteilte Ereignisse machen uns Angst.
Eine angemessene Angst ist gesund und eine Hilfe in und vor Gefahren. Sie macht Sinn, um gefährliche Lebenslagen zu überleben oder uns anzuspornen, zur Bewältigung von
Herausforderungen kreativ zu werden. Übermäßige Ängste beeinträchtigen jedoch unser Denken und unsere Gefühle zum Negativen und stehlen uns Lebenskraft und Lebensfreude. Wer von Ängsten geplagt lebt, verliert Perspektiven und Weitsicht.

Auf einmal verliert das Leben seinen Glanz
Die moderne Gehirnforschung hat herausgefunden, dass das limbische System jede Situation aufgrund von Erfahrungen überprüft und bei möglichen Gefahren sofort automatisch eine Angstreaktion auslöst. Und das geschieht innert Millisekunden, noch bevor unser Bewusstsein über die Bedrohung informiert ist. Ehe wir uns Gedanken machen, hat unser limbisches System bereits eine entsprechende Angstreaktion gestartet. Das Wort «Angst» geht auf den althochdeutschen Begriff «angust» zurück und drückt Enge, Enge der Brust, aus. Die Kehle wird einem «zugeschnürt», das Herz spürt die «Beklemmung». Der Songtext: «Angst frisst Seele auf, Angst frisst alles auf» bringt es auf den Punkt. Auf einmal verliert das Leben seinen Glanz.

Eine kurze Parabel:
«Es war an den Toren einer großen Stadt im Mittelalter, als eine Frau, die still auf einer Bank saß, eine seltsame Gestalt, einen hageren, alten Mann, in die Stadt gehen sah. Sie fragte ihn, wer er sei und wohin er gehe. Der Alte sagte: Ich bin der Tod, und ich habe die Pest mitgebracht, die tausend Menschen in dieser Stadt das Leben kosten wird. Und er ging langsam weiter.
Tatsächlich brach in der Stadt die Pest aus, und viele Menschen starben. Einige Zeit später war die Frau in der Stadt unterwegs und traf erneut den alten Mann, der sich nun zum Gehen rüstete. Sie sprach ihn wieder an: Ihr habt mir gesagt, dass tausend Menschen an der Pest sterben würden – aber ich habe gehört, dass schon über zehntausend Menschen den Tod gefunden haben. Der Mann antwortete: Das ist wahr. Tausend Menschen sind durch die Pest umgekommen – die restlichen aber durch die Angst!»

Effizient gegen die Angst vorgehen
Angst macht eine realistische Einschätzung der Situation unmöglich, was nur allzu leicht zu einer Überreaktion führen kann. Wichtig ist es, den Bezug zur Realität nicht zu verlieren und alles zu unternehmen, um Ruhe und Gelassenheit zu bewahren. Dazu ist es nötig, dass wir richtige und vertrauenswürdige Informanten haben, um nicht irgendwelchen Gerüchten auf den Leim zu gehen. Wer seriöse Quellen meidet und sein Wissen ausschließlich aus dem Internet, von dubiosen Videos und durch den Boulevardjournalismus bezieht, kann sich in einer Spirale angstmachender Halbwahrheiten wiederfinden. Es ist wichtig und ein hilfreiches Gegenmittel, Ängste zu formulieren und sie mit Menschen des persönlichen Vertrauens zu besprechen. Wer in der eigenen Sprachlosigkeit hängen bleibt, schadet sich selbst. Erst wenn wir uns zu einer besonderen Art des MIT-Teilens entschließen, können Ängste schrumpfen.

Die richtige Atmung
Atmung und Psyche beeinflussen sich gegenseitig. Wenn wir entspannt sind, fällt uns ruhiges und tiefes Atmen leicht, sodass wir gar nicht darüber nachdenken. Bei Angst und Stress dagegen wird unsere Atmung beeinträchtigt und flacher. Die Angst kann uns regelrecht die Kehle abschnüren, und dabei verkrampft sich die gesamte Oberkörpermuskulatur. Gleichzeitig atmen wir rascher. Mit anderen Worten: Wir merken an unserer Atmung, wie es unserer Psyche geht. Bei Atemnot reagieren wir automatisch mit Stress- und Angstgefühlen. Bei Schock hält man die Luft an. Genauso ungesund ist «dicke Luft» in Beziehungen. Unsere Atmung und körperliche beziehungsweise psychische Befindlichkeit korrespondieren mitei-
nander. Wenn wir VORBEUGEND lernen, in angespannten Situationen die richtige Atmung zu «pflegen», werden es uns Körper und Seele durch ein verbessertes Lebensgefühl danken. Ein wenig nach dem Motto: «Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!»
Fakt ist: In der Behandlung von Ängsten, körperlichen Spannungen und bei Stress ist es unerlässlich, richtig zu atmen. Normalerweise ist das richtige Atmen das Letzte, woran wir denken, wenn wir Angst, Stress oder Anspannung verspüren. Wer sich jedoch schon in entspannten (guten) Zeiten richtiges Atmen angewöhnt oder dieses erlernt, tut sich im Akutfall leichter.
In meiner Studienzeit hatte ich einen einfühlsamen Lehrer, dem ich anvertraute, dass ich vor Prüfungen oder Referaten immer einen enormen Stress empfinde und die Angst vor einem Blackout mir alle Ruhe, Gelassenheit und auch den Schlaf raubt. Er hörte mir zu und erwiderte, dass er früher auch Ähnliches erlebt habe. Ihm habe eine bewusste Atemtechnik geholfen. Er ermutigte mich, diese auch einmal auszuprobieren. Da sie denkbar einfach war, habe ich sie umgesetzt. Er empfahl mir für solche Situationen einen 20-minütigen Spaziergang. Dabei sollte ich zuerst 5 Schritte ausatmen und dann
4 Schritte einatmen. Das Ganze sollte ich bis zu 8 Schritten steigern, durch den Mund mit einem leichten Pfeifton ausatmen und 6 Schritte lang durch die Nase langsam und tief einatmen. Diese einfache, aber bewusste Konzentration auf die Atmung hat bei mir Ruhe, Konzentration und Gelassenheit erzeugt. Ich habe bis heute nicht mehr damit aufgehört und versuche, gerade in spürbaren Herausforderungen diese Atem-Zeit bewusst einzuplanen und mir zu gönnen. Die Achtsamkeit auf die Schritte, die Bewegung sowie das bewusste Aus- und Einatmen sind eine Hilfe zur Gelassenheit.

Sorge dich nicht – lebe!
Nachstehender Rat aus dem Buch von Dale Carnegie Sorge dich nicht – lebe hat mir bezüglich meiner Ängste, die mir den Atem raubten, ebenso geholfen. Vielleicht ist er auch eine Anregung für Sie:
Wenn Sie sich das nächste Mal von Ihren Problemen in die Enge getrieben fühlen, probieren Sie folgende Formel aus:
1. Fragen Sie sich: Was kann mir als Schlimmstes passieren, wenn ich es nicht schaffe, mein Problem zu lösen?
2. Bereiten Sie sich in Gedanken darauf vor, das Schlimmste zu akzeptieren – falls nötig.
3. Nun versuchen Sie ruhig und gelassen, das Schlimmste abzuwenden – mit dem Sie sich im Geist bereits abgefunden haben.

Der weise Salomo
Ich lese gerne die Sprüche des weisen Königs Salomo, die dieser bereits vor mehr als 3000 Jahren aus einer guten Selbst- und Fremdbeobachtung niedergeschrieben hat. Hier zwei passende Beispiele:
- «Sorge im Herzen bedrückt den Menschen (lastet wie ein Gewicht auf ihm), aber ein freundliches Wort erfreut ihn». Sprüche 12,25
- «Ein Betrübter hat nie einen guten Tag ...», (sein Tag wird durch angstvolle Gedanken und Vorahnungen verdorben). Sprüche 15,15

Mein persönlich größter Trost
Es gibt in der heutigen Zeit viele Gründe, Angst zu haben, sodass einem das Atmen erschwert wird. Verstärkt durch die sozialen Medien und das Internet, werden wir innert weniger Momente in düsteren Farben über alle möglichen Bedrohungen der ganzen Welt informiert. Terror, Kriminalität und Voraussagen von Umwelt- und Gesundheits-Desastern fallen wie ein Dauerregen in unserem Alltag auf unsere Psyche. Veränderungen und Verluste auf vielen Gebieten können uns schnell verunsichern.
Wie tröstlich ist es, wenn in der Heiligen Schrift von Jesus ein größerer Bogen gelegt wird, unter dem jedes Leben steht: «In der Welt habt ihr Angst (Bedrängnis); aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden» Johannes 16,33. Dieses Wort «sticht» ein befreiendes Loch in die Wolkendecke unserer Ängste.

1.  Bewusste Atemtechniken lernen
2.  Ängste mitteilen
3. Mir in guten Zeiten überlegen, was mir hilft und ich tun kann, wenn mir die Angst den Atem raubt.

Angst hat viele Gesichter:
Misstrauen – Angst, betrogen zu werden
Eifersucht – Angst, verlassen zu werden
Schüchternheit – Angst, nicht zu genügen
Lügen – Angst, mit der Wahrheit anzuecken
Gesetzlichkeit – Angst, für oberflächlich gehalten zu werden
Ehrgeiz – Angst, unbedeutend zu sein
Entscheidungsschwäche – Angst, etwas falsch zu machen

 

 

 

 

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